CLP Interviewreihe: Jennifer Graf

Wie können Juristen von einer Coachingausbildung profitieren?
Und wo genau kommt (Legal) Coaching in der juristischen Praxis zum Einsatz?
Jennifer Graf, Unternehmensjuristin und systemischer Team Coach berichtet darüber im Interview bei CLP.

Jennifer Graf ist seit über 20 Jahren als Unternehmensjuristin tätig, sowohl in Konzernen als auch im Mittelstand. Neben ihrer juristischen Expertise hat sie früh Führungsverantwortung übernommen und ein Team aufgebaut. Dabei wurde ihr immer klarer: Fachliche Exzellenz allein reicht nicht aus, um im Unternehmen wirksam zu beraten. Es geht darum, Unternehmensdynamiken zu verstehen, Stakeholder richtig einzuordnen und rechtliche Lösungen zu entwickeln, die wirklich zum jeweiligen Kontext passen.
Privat ist sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit irgendwo am Meer anzutreffen.

1.Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Coaching beschäftigt und warum? Was hat Sie daran besonders fasziniert?

Der Impuls kam während meiner Weiterbildung im systemischen Change-Management.  Besonders fasziniert hat mich die dort vermittelte Grundhaltung, dass Verhalten immer im Kontext eines Systems betrachtet werden muss, also nicht isoliert, sondern eingebettet in die Dynamiken von Teams, Prozessen und Organisation. Und, dass nachhaltige Veränderung dort ansetzt, wo Muster sichtbar und veränderbar werden.

Ich habe schon länger gespürt, dass viele Herausforderungen sowohl innerhalb des Teams als auch bei der Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen bei rechtlichen Fragestellungen nicht nur fachlich lösbar sind.

Aber erst, als ich mich intensiver mit systemischem Denken und kommunikativen Methoden aus dem Coaching beschäftigt habe, wurden mir die tieferen Ursachen dieser Herausforderungen wirklich klar.

Rückblickend zeigt sich eindeutig, wie viele der Hürden und Komplexitäten, die ich beim Aufbau unserer Rechtsabteilung oder bei der Begleitung juristischer Fragestellungen erlebt habe, sich durch diesen Perspektivwechsel hin zum systemischen Kontext erklären lassen.

Das Wissen darüber, wie Systeme wirken und wie man Kommunikation gezielt gestalten kann, wollte ich im Nachgang auch im Rahmen meiner Führungsverantwortung an mein Team weitergeben.

Die Weiterbildung zur systemischen Teamcoach war dann für mich der logische nächste Schritt.

2. Worauf haben Sie persönlich beim Erlernen von Coaching besonders geachtet?

Mir war wichtig, dass das Coachingverständnis fundiert und systemisch ausgerichtet ist, also weg vom schnellen „Lösungsgeben“ hin zu einem echten Verständnis für das Zusammenspiel von Person, Rolle und Organisation.

Ich wollte lernen, wirklich zuzuhören, Hypothesen zu bilden, Dynamiken zu erkennen und vor allem meine Beratung intuitiv zu entschleunigen, etwas, das dem juristischen Ansatz nach einer möglichst schnellen rechtlichen Analyse ja zunächst widerspricht.

3. Was hat sich für Sie nach Ihrer Coachingausbildung in Ihrer juristischen Tätigkeit verändert? Welche Reaktionen haben Sie von Kollegen, Mitarbeitern und Klienten erhalten?

Ich berate heute anders: präziser, bewusster und mit einem verstärkten Blick „hinter die Kulissen“. Ich erkenne schneller, welche systemischen Muster wirken, z.B. bei Eskalationen, Konflikten, Widerständen oder vordergründig einfachen rechtlichen Fragen.

Im Team selbst helfen mir Haltung und Methoden aus dem Coaching, um gemeinsam mit allen Teammitgliedern Rollen, Zuständigkeiten und Prioritäten klarer strukturieren und dabei die individuellen Stärken gezielter fördern zu können.

Die Kolleg:innen schätzen diesen ganzheitlichen Blick. Ich bekomme oft die Rückmeldung, dass ich komplexe Themen auf den Punkt bringen kann. Nicht nur rechtlich, sondern auch in Bezug auf die eigentlichen Bedürfnisse oder Blockaden im Hintergrund.

4. Wozu setzen Sie Coaching heute in Ihrer beruflichen Situation ein?

Coaching ist für mich heute ein fester Bestandteil in meiner Führungsrolle und in der Beratung. Ich nutze Coachingmethoden im Team, bei der Weiterentwicklung von Rollen, in schwierigen Gesprächssituationen oder auch bei der strategischen Ausrichtung unserer Abteilung.
Manchmal geht es ganz konkret darum, eine Kollegin in ihrer Expertenrolle zu stärken, ein anderes Mal darum, unternehmensweite Prozesse mitzugestalten. Immer mit dem Blick auf das Zusammenspiel von Struktur, Kultur und individueller Verantwortung.

5.  Wie hoch schätzen Sie insgesamt die Relevanz von Coaching oder Coachingausbildungen für Juristen ein? Wie nehmen Sie die Entwicklungstendenzen wahr?

Ich halte Coachingkompetenz und insbesondere systemische Kenntnisse für Jurist:innen (besonders inhouse) für zunehmend unverzichtbar. Die Rolle der Rechtsabteilung verändert sich schon seit langem spürbar: Weg vom reinen Risikoverwalter hin zum aktiven Mitgestalter bzw. echten Business Partner.

Dafür braucht es neben dem juristischen Fachwissen auch ein tiefes Verständnis für Menschen, Systeme, Dynamiken und deren Wechselwirkungen sowie kommunikative Kompetenz, die über reine Verhandlungstechniken weit hinausgeht. Coaching bietet genau diese Brücke. Ich sehe diesbezüglich auch eine wachsende Offenheit, gerade bei jüngeren Kolleg:innen oder in Unternehmen, die auf moderne Führung und Zusammenarbeit setzen.

Ihr persönliches Fazit:

Coaching hat meine juristische Arbeit und meinen Führungsstil auf ein neues Fundament gestellt. Es erlaubt mir, Zusammenhänge besser zu verstehen, Wirkung gezielter zu entfalten und das Verhalten von Personen in einen größeren Kontext einzuordnen. Ich sehe großes Potenzial darin, juristische Expertise mit systemischer Perspektive zu verbinden. Für mich ist das kein Widerspruch, sondern ein Gewinn für alle Beteiligten, ob im Umgang mit Teams, in der Begleitung von Veränderungsvorhaben im Unternehmen oder in der juristischen Beratung.

Vielen herzlichen Dank.

Freuen Sie sich auf weitere (Legal) Coaches und lassen Sie sich inspirieren!

Mehr zu Jennifer Graf finden Sie hier:

https://www.linkedin.com/in/jennifer-graf-b589362a8/