CLP Interviewreihe: Dr. Christina Mateju-Ertl
Wie können Anwältinnen von einer Coachingausbildung profitieren?
Und wo genau kommt (Legal) Coaching in der Kanzlei zum Einsatz?
Dr. Christina Mateju-Ertl, Rechtsanwältin und (Legal) Coach im Interview bei CLP.
Dr. Christina Mateju-Ertl ist in Kärnten im elterlichen Betrieb aufgewachsen und hat Jus in Wien studiert mit Doktoratsstudium in Salzburg. Heute ist sie Rechtsanwältin und Legal Coach sowie Partnerin in der Kanzlei Frimmel I Anetter I Schaal Rechtsanwälte Gmbh& Co KG mit Standorten in Klagenfurt und Wien. Zusätzlich hat sie sich intensiv in Psychologie und Coaching aus- und weiterbilden lassen und arbeit außerdem als Mindset Coach für Führungskräfte. Sie lebt naturverbunden mit ihrer Familie in Seeboden am Millstätter See im wunderschönen Kärnten. Ihr Credo: Neugierig bleiben!
1. Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Coaching beschäftigt und warum? Was hat Sie daran besonders fasziniert?
Mit circa 22 Jahren ist mir das Buch des österreichischen Psychologen Paul Watzlawick „Die Anleitung zum Unglücklichsein“ in die Hände gefallen, und damit war meine Neugier geweckt und meine Begeisterung für die Themen, Kommunikation, Glaubenssätze, Werte, Mindset, Selbstreflexion, negative Handlungsmuster (mindsights), Täter/Opfer/Retter-Theorie sowie die Möglichkeit der Selbststeuerung, entfacht.
Neben meinem Jus-Studium hab ich mich daher vermehrt mit diesen Themen beschäftigt und schließlich meine Babypause genutzt, um mit zahlreichen Zusatz – Ausbildungen mein Wissen zu vertiefen.
Besonders beeindruckt haben mich die Erkenntnisse und Impulse im Rahmen meiner NLP-Ausbildung sowie meiner Ausbildung zur positiven Psychologie, weil diese sich mit meiner positiven optimistisch realistischen Grundeinstellung decken.
Des Weiteren war für mich als Juristin, die Beweisbarkeit der Wirkung der verschiedenen Coaching- bzw. Trainingstools enorm wichtig, was durch meine intensive Beschäftigung mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften und dem Wissen, wie wir unsere Hirne völlig neu verdrahten können, gewährleistet wurde.
Es stellt sich für mich in diesem Zusammenhang und mit all meinen gewonnen Erfahrungen in Zusammenhang mit den Coaching- und Trainingstools vielmehr die Frage, wie sich manche Entscheidungsträger den evidenzbasierten enorm positiven Effekt dieser Tools im Hinblick auf die Arbeitsleistung sowie auf ein gelingendes Leben im allgemeinen bis dato verschließen können. Andererseits sollten diese Soft Skills - neben der Vermittlung der reinen Fachkompetenzen - bereits als Hauptfach in den Schulen implementiert und gelehrt werden. Wir müssen uns in Zeiten, in denen die KI im Vormarsch ist, umso mehr die Frage gefallen lassen, was wir den Kindern für die Zukunft beibringen wollen bzw. müssen, sowie wie wir als Führungskräfte unsere Mitarbeiter mit geeigneten Tools stärken können, damit diese mit Leidenschaft und Engagement einen positiven Beitrag in der Gesellschaft leisten können und wollen.
2. Worauf haben Sie persönlich beim Erlernen von Coaching besonders geachtet?
„Wenn du mit Flügeln geboren bist, solltest du alles dazu tun, um sie zum Fliegen zu benutzen!“ (Florence Nightingale)
Für mich ist grundsätzlich die eigene Haltung, das eigene Mindset als Coach enorm wichtig. Passend zu meiner eigenen realistisch optimistischen Grundeinstellung gefällt mir daher der präventive Ansatz. Es ist für mich wichtig, dem Coachee wie eine leere Tasse zu begegnen gepaart mit dem Wissen, dass in den meisten von uns noch viel mehr steckt und bei den meisten von uns noch viel mehr möglich ist und dieses Potential und diese Stärken unter anderem im Rahmen des Coachings entfaltet bzw. entwickelt werden können.
Es fasziniert mich extrem, wenn man als Coach im Rahmen der Arbeit miterleben darf, wie noch ungeschliffene Diamanten zum Strahlen und Funkeln gebracht werden, wie Klarheit geschaffen und Ziele leichter erreicht werden und/oder durch einen Perspektivenwechsel, Entscheidungen bzw. rechtliche Lösungen schneller getroffen werden.
3. Wozu setzen Sie Coaching heute in Ihrer beruflichen Situation ein?
Jede Person ist einzigartig und die Herausforderungen bzw. Probleme sind immer im Zusammenhang mit den eigenen Werten und Überzeugungen der jeweiligen Person, des jeweiligen Mandanten zu sehen. Die rechtliche Beratung sollte demnach grundsätzlich immer auf den Werten, Bedürfnissen und Zielen der Mandanten aufgebaut werden, damit sich die Lösung für den Mandanten dauerhaft gut anfühlt.
Vor bzw. im Zusammenhang mit der rechtlichen Beratung ist es daher oftmals enorm hilfreich, Klarheit zu schaffen und mit den jeweiligen Mandanten die eigenen Werte und Bedürfnisse zu reflektieren und zu erarbeiten. So ist es beispielsweise im Rahmen einer geplanten Betriebsübergabe, insbesondere bei Übergaben von Familienbetrieben, extrem effektiv und wertvoll, mit dem potentiellen Übergeber vorab den Status quo und dessen Ängste und Sorgen sowie gleichzeitig die Ressourcen der potentiellen Übernehmer zu reflektieren und gegeneinander abzuwägen.
Mit den gewonnenen Erkenntnissen über Werte und Glaubenssätze der involvierten Parteien wird der „perfekte Match“ gewährleistet und eine Win-Win-Situation für alle involvierten Parteien geschaffen.
4. Was hat sich für Sie nach Ihrer Coachingausbildung in Ihrer juristischen Tätigkeit verändert? Welche Reaktionen haben Sie von Kollegen, Mitarbeitern und Klienten erhalten?
Neugier, Interesse und Offenheit für eine andere (konstruktive) Art der Konfliktlösung und Verhandlungsführung.
5. Wie hoch schätzen Sie insgesamt die Relevanz von Coaching oder Coachingausbildungen für Juristen ein? Wie nehmen Sie die Entwicklungstendenzen wahr?
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor in der anwaltlichen Tätigkeit, ist beispielsweise das Erarbeiten des tatsächlichen Sachverhaltes mit dem Mandanten. Dazu ist es enorm wichtig, dass vom Anwalt die „richtigen“ Fragen gestellt werden.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist es – wie bereits oben erörtert - die Werte und Bedürfnisse des Mandanten in der (individuellen) Lösung zu berücksichtigen. In beiden Fällen ist es jedenfalls hilfreich und effektiv, professionelle Fragetechniken sowie Kommunikationstools zu beherrschen und anzuwenden.
Des Weiteren tragen die Persönlichkeit des Anwaltes, seine Empathie und sein Verständnis für die Probleme des Mandanten wesentlich zur Erzielung einer (konfliktfreien und zufriedenstellenden) Lösung für den Mandanten bei.
Insbesondere in Zeiten der Entwicklung der KI wird es immer wichtiger sein, dass sich ein Beratungsgespräch mit einem „echten (menschliche) Anwalt“ im Vergleich zu einem Beratungsgespräch mit einem „künstlichen Anwalt“ besser anfühlt und einen Mehrwert für den Mandanten bietet. Genau dieser Mehrwert kann durch Coaching bewirkt, erzielt bzw. gewährleistet werden.
Ihr persönliches Fazit:
Es ist für mich beeindruckend und ich bin dankbar in meinem beruflichen Alltag erleben zu dürfen, wie Menschen aufblühen und wie die Augen der Coaches bzw. der Mandanten zu leuchten beginnen, wenn sie sich verstanden und abgeholt fühlen. Wenn Sie erfahren dürfen, dass Ihnen jemand zuhört und Sie mit all Ihren Ängsten, Sorgen und Zweifel ernst genommen und verstanden werden.
Das teilweise (negative) Image des „streitenden“ Anwalts kann mit dem Zusatzangebot „Coaching“ nicht mehr aufrecht erhalten werden, denn es wird die ganzheitliche Sicht auf den Menschen, Mandanten, Coachee gefördert.
In diesem Sinne wird es in vielen Fällen klar, dass es ein Erfolg ist bzw. sein kann, eine konstruktive Lösung – ohne zerstörerischen „Rosenkrieg“- anzustreben bzw. zu treffen. Es wird nach Abwägen der Werte des Mandanten klar, dass die Beibehaltung eines konstruktiven (familiären) Miteinanders bzw. die Aufrechterhaltung einer jahrelangen Geschäftsbeziehung wichtiger sein kann, als im konkreten Einzelfall den kurzfristigen „vermeintlichen“ Sieg davon zu tragen.
Vielen herzlichen Dank.
Freuen Sie sich auf weitere (Legal) Coaches und lassen Sie sich inspirieren!
Mehr zu Dr. Christina Mateju-Ertl finden Sie hier: