CLP-Interviewreihe: Christina Ringe-Rathgen
Wie können Juristen von einer Coachingausbildung profitieren?
Und wo genau kommt (Legal) Coaching in der juristischen Praxis zum Einsatz?
Christina Ringe-Rathgen, Juristin, Mediatorin und (Legal) Coach im Interview bei CLP.
Unsere Allrounderin Christina Ringe-Rathgen ist Juristin, Coach und Künstlerin: Nach dem Jurastudium in Passau und Göttingen entschied sie sich zunächst für die Familie und blieb für ihre fünf heute zum Teil erwachsenen Kinder zu Hause. Neben der Erziehungsarbeit konzipierte sie historische Stadtführungen für Kinder in ihrer Heimatstadt Hildesheim und machte sich einen Namen als Künstlerin (tinaringe.de). Über ihr Interesse an Psychologie und Philosophie gelangte sie nach einer Mediationsausbildung am ISK Berlin schließlich zum Coaching.
Christina Ringe-Rathgen setzt sich gern ans Klavier und liebt die Natur, wo sie sich beim Schwimmen im See oder joggend im Wald Antworten auf die kleinen und großen Fragen des Lebens holt oder von der Muse küssen wird, die sie zu Farbe und Spachtel greifen lässt.
Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Coaching beschäftigt und warum? Was hat Sie daran besonders fasziniert?
Mein erster Kontakt mit Coaching war 2020 im zweiten Coronalockdown. Mit fünf Kindern, die alle von Schule und Uni sich selbst überlassen zu Hause festsaßen, einem Mann, der mit der Umrüstung seiner Firma auf Homeoffice in seiner Selbstständigkeit noch mehr gefordert war als sonst und einem Altbau, in dem sich eine Serie von Wasserschäden aneinanderreihte, fand ich mich am Rand meiner Belastungsgrenze wieder. Ich hatte psychisch buchstäblich Land unter – wollte aber auch mein Umfeld nicht damit belasten. Erstens war mein Anspruch „zu funktionieren“, und außerdem befanden sich ja auch alle anderen im Ausnahmezustand. Schließlich wollte ich lieber anderen weiterhelfen und ihnen Mut machen statt ihnen auch noch meine Probleme aufzubürden.
Ich wählte die Nummer einer Praxis namens „Lichtblick“, die ich im Telefonbuch fand. Der Name war für mich Programm. Ein Lichtblick war das, was ich dringend brauchte!
Covid19 brachte mich also zum Coaching. Die Gespräche brachten mir Erleichterung, ja, echte Lichtblicke in einer Situation, die mir fast die Luft zum Atmen nahm. Ich habe erfahren, wie gut es tun kann, mit jemandem reden zu können, der zuhört, ohne zu werten und ohne Ratschläge zu geben, sondern – so wie es Coaching vorsieht – mich empathisch dabei unterstützte, für mich selbst herauszufinden, was ich tun konnte, um meine Situation aktiv zu verbessern.
Meine Welt war immer die des Funktionierens. Krank sein oder eine Schwäche zu zeigen, kam nie infrage. Coaching kam in meiner – von einem leistungsorientierten Elternhaus geprägten - Welt nicht vor. Das war vielleicht „etwas für Weichlinge, die ihr Leben nicht im Griff haben“, aber nicht für Menschen mit Zielen, die fest auf dem Boden stehen und wissen, wohin sie wollen. Was für ein beschämendes Vorurteil...!
Heute weiß ich es besser.
Die Erfahrungen, die ich machen durfte, haben mir die Überzeugung gebracht, dass Coaching jedem Menschen einen echten Mehrwert schenken kann. Coaching ist begleitete Selbstreflexion. Es bietet Unterstützung auf der Suche nach verborgenen Ressourcen und vorhandenen Lösungen, die man oft selbst nicht erkennt. Es hilft, Potenzial zu aktivieren, das man aus ganz unterschiedlichen Gründen – aufgrund innerer Blockaden oder einfach aus Betriebsblindheit - brachliegen lassen würde.
Was mich fasziniert, ist die Einfachheit. Durch aktives Zuhören und gezielte Fragetechniken wird der Coachee durch einen Prozess begleitet, in dem er seine individuellen Ziele und die Ressourcen findet, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind. Er findet heraus, wie er auf die für ihn passende Weise diese Ressourcen aktivieren und sein Potenzial optimal nutzen kann. Das gilt für Einzelpersonen ebenso wie für Teams oder Bürogemeinschaften.
In unserer modernen leistungsbezogenen Welt haben wir das Hinhören verlernt. Wir erklären den Menschen im Urteilsstil, was richtig und falsch ist, was sie zu tun und zu lassen haben, wo der Weg zum Glück langführt. Das kann zwar funktionieren, jedoch nicht auf Dauer. Nachhaltig und langfristig erfolgreich werden Lösungen dann, wenn sie individuell zu demjenigen passen, für den sie gedacht sind und von diesem aus sich selbst heraus entwickelt werden. Hierzu dient Coaching. Der Coach ist weder Therapeut noch Trainer, sondern kitzelt mit Fingerspitzengefühl aus seinem Coachee die für diesen ideale Lösung heraus. Wer leisten will, sollte sich selbst und seine Ziele am besten kennen. Bei dieser Reise zu uns selbst begleitet uns der Coach. So einfach wie effizient. Das begeistert mich und als Coach möchte ich diese Bereicherung an andere weitergeben.
Worauf haben Sie persönlich beim Erlernen von Coaching besonders geachtet?
Mir war wichtig, eine Coachingform zu finden, die auf Augenhöhe mit der Zielgruppe ist, die ich ansprechen möchte: Juristen.
Es gibt so viele unterschiedliche Herangehensweisen im Coaching. Für meine Ausbildung habe ich eine Art des Coachings gesucht, das mit der sachlichen und klar strukturierten Art von Juristen korrespondiert, ihre vibes versteht und sie aufgreift. Da ich die Denkweise von Juristen kenne und selbst lange von den Vorurteilen geprägt war, die in meinem Umfeld gegenüber dem Coaching grassieren – „das ist was für Weicheier“, „das brauche ich nicht“, „besser kann ich mir selbst helfen“, „Zähne zusammenbeißen und durch“, „das bisschen Zeit, das ich habe, nutze ich lieber für ein gutes Glas Wein“ – kenne ich die Vorbehalte der juristischen Zunft gegenüber dem Coaching. Umso höher war mein Ehrgeiz, dieses augenöffnende Erlebnis, das ich inzwischen selbst erlebt hatte, auch anderen Juristen zugänglich zu machen.
Mein Ziel war daher ein auf Juristen fokussiertes Coaching auf höchstem Qualitätsniveau – mit Substanz und einer gewissen juristischen Nüchternheit, ohne um Obelisken drapierte Seidentücher, Gefühlsduselei und das von uns Juristen so gefürchtete, dem Coaching leider oft unterstellte, weichgespülte Geschwafel.
Was hat sich für Sie nach Ihrer Coachingausbildung in Ihrer juristischen Tätigkeit verändert? Welche Reaktionen haben Sie von Kollegen, Mitarbeitern und Klienten erhalten?
Da ich selbst nicht juristisch tätig bin, kann ich diesbezüglich keine eigenen Erfahrungen einbringen. Ein Sachverhalt aus meinem engsten privaten Rahmen hat mich aber in der Überzeugung bestärkt, dass es Mandate gibt, die mit einer Zusatzqualifikation zum Coaching für die Parteien zu befriedigenderen und nachhaltig tragfähigeren Lösungen geführt werden können als allein mit dem juristischen Handwerkszeug. Juristische Expertise beschränkt sich auf die Fähigkeit, Sachverhalte sachlich-analytisch zu erfassen und mithilfe der Spielregeln zu lösen, die materielles und formelles Recht dafür anbieten. Unberücksichtigt bleiben bei der Arbeit des Juristen dabei in aller Regel menschliche Aspekte wie Gefühle und versteckte Motivationen, die für die Dynamik eines Rechtsstreits oder einer Verhandlung jedoch oft eine ganz entscheidende Rolle spielen.
Ich habe selbst erfahren, wie juristisch einwandfreie Arbeit trotzdem nicht zu einem Ergebnis führt, das den Interessen der Parteien wirklich gerecht wird. Hätte der zuständige Anwalt ein Coaching zwischengeschaltet, wäre er in der Lage gewesen, die echten Interessen hinter dem juristischen Mandat zu ermitteln – und die Fragestellung im Sinne beider Parteien zu einem echten Erfolg zu führen. Diese Erfahrung nutze ich heute dazu, mich mit dafür einzusetzen, dass mehr Juristen den Sinn des Legal Coaching entdecken und sich dafür qualifizieren. Die USA machen es vor. Wie dort bereits etabliert, so hoffe ich, dass auch in Deutschland das Legal Coaching immer stärker in die Rechtsbranche integriert wird.
Wozu setzen Sie Coaching heute in Ihrer beruflichen Situation ein?
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen von CLP bieten wir sowohl Ausbildungen für Juristen zum Legal Coach an als auch Coaching für Juristen in beruflichen und privaten Fragen wie Standortbestimmung, Neuorientierung, Konfliktlösung sowie Potenzialanalyse. Meine besondere Nähe zur Kunst hat mich im Rahmen des Coachings zur Symbolon-Methode geführt, eine besondere Methode, die Coaching und Potenzialentwicklung mithilfe von klassischen Kunstwerken verbindet.
Wie hoch schätzen Sie insgesamt die Relevanz von Coaching oder Coachingausbildungen für Juristen ein? Wie nehmen Sie die Entwicklungstendenzen wahr?
Ich sehe eine hohe Relevanz von Coaching für Juristen. Zu unterscheiden sind ja das Legal Coaching, also die Anwendung von Coachingtools durch Juristen im Rahmen der Bearbeitung ihrer Mandate auf der einen Seite, und Coaching für Juristen als Begleitung bei der Lösung eigener Frage- und Problemstellungen im beruflichen oder privaten Bereich.
Zur Sinnhaftigkeit des Legal Coachings im Mandanteninteresse habe ich mich oben bereits geäußert (s. o.). Hinzu kommt der Nutzen, den der Jurist selbst dank des in der Coachingausbildung erlernten sog. Coaching-Mindsets z. B. im Kanzleiumfeld erfährt. Lassen Sie mich offen sprechen. Juristen sind für ihre Eloquenz bekannt – gleichzeitig eilt ihnen aber auch der Ruf voraus, oft rechthaberisch und unbelehrbar zu sein. Dies führt nicht immer zu einer idealen Kommunikation mit ihrem Umfeld, welche vielmehr Empathie und das Wahrnehmen unterschwelliger Stimmungen voraussetzen würde. Nehmen Coachingtools und Fragetechniken sind dies wertvolle Fähigkeiten, die zu ein erheblich verbessertes Miteinander im Arbeitsumfeld sowie auch im privaten Bereich schaffen können.
Für beide Formen des Coachings sehe ich daher auch in der Legal Branche schon jetzt großen Bedarf, der angesichts zunehmender Stressfaktoren wie der steigenden Belastung und Unsicherheiten bei der Arbeit, Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder in Change-Situationen sowie der von außen durch die täglichen Nachrichten aus aller Welt auf uns einwirkenden Stressverursacher auch noch wachsen wird. Coaching als Begleitung bei der Suche nach eigenen Antworten ist immer ein Gewinn – in sämtlichen Stadien einer beruflichen Laufbahn, beginnend im Studium, spätestens bei der Vorbereitung aufs erste Staatsexamen, endend mit der Übergabe an den Nachfolger.
Ihr persönliches Fazit:
Wer als Leistungsträger sein Leben mit allen Herausforderungen positiv bewältigen, mental gesund und vor allem zufrieden und glücklich bleiben möchte, dem rate ich: Richten Sie unbedingt ab und zu auch mal den Blick auf sich selbst. Hinterfragen Sie, wo Sie stehen und wo die Reise hingehen soll - und was Sie selbst tun können, um Schwierigkeiten zu überwinden und Ihre ganz persönlichen Vorstellungen und Träume vom Leben zu realisieren.
Entweder du gestaltest dein Leben – oder dein Leben gestaltet dich. Du hast es in der Hand.
Vielen herzlichen Dank.
Freuen Sie sich auf weitere (Legal) Coaches und lassen Sie sich inspirieren!
Mehr zu Christina Ringe-Rathgen finden Sie hier:
https://www.consultingforlegals.com/wer/
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