22.05.2020

Interview: Dr. Geertje Tutschka, PCC - Legal Coaching Ausbilder & Leadership Coach @ CLP

Die CLP - Interviewreihe geht in die zweite Runde: Nach dem erfolgreichen Auftakt mit über zehn Experten aus der Rechtsbranche, die ihre ganz persönlichen Erfolgstipps für eine erfolgreiche juristische Karriere verraten haben, werden diesmal zehn Juristen zu Wort kommen, die coachen - Legal Coaches, die aus sehr unterschiedlichen Gründen sich Zusatzkompetenzen mit einer professionellen Coachingausbildung erworben haben.

CLP hat diese Legal Coaches in sehr unterschiedlichen Positionen dazu befragt, was sie dazu bewogen hat und wie Coaching ihre berufliche Laufbahn maßgeblich beeinflusst hat. 

Frau Dr. Tutschka, dürfen wir Sie bitten, sich kurz selbst vorzustellen?

Ich bin seit 25 Jahren Jurist in Deutschland, Österreich und den USA - meine Motivation war dabei von Anfang an, das "juristische Business" zu verstehen. Ich absolvierte daher zunächst mehrere "Lehrjahre" in sehr unterschiedlichen Bereichen, um mir die notwendige Erfahrung und einen Überblick zu verschaffen.

Angefangen hat es jedoch eigentlich viel früher: Mit dem Einigungsvertrag zwischen zwei deutschen Staaten - ich habe mich gefragt, wie man es schafft, soviele Menschenleben auf einmal zu beeinflussen. Mit einem ausgezeichneten Abitur in der Tasche und einer Studienplatzsperre aus politischen Gründen kämpfte ich mich gerade als Musikerin durch - als sich meine Welt auf den Kopf stellte.

Heute bin ich als CLP-Referent Spezialist bei den Themen "Leadership", "Kanzleientwicklung" und "Legal Coaching" sowie international gefragter Keynote -Speaker und Autor. Gerade haben die FAZ, Haufe.Recht und die Legal Business World mich zum Thema zitiert. Anfang des Jahres war ich für die "Women in Law" Netherlands in London, unterstütze im Moment das Institut für Unternehmensjuristen und Rechtsabteilungen (diruj) in ihren digialen Formaten und werde natürlich im Juni beim virtuellen Anwaltstag des DAV zum Thema "Die Kanzlei als Unternehmen" mit dabei sein. Für die "Women in Law" in Wien und die "Vienna Legal Tech" sind wir ebenso langjähriger Partner wie für das Competence Center der Uni Luxemburg.

Eigentlich bin ich jedoch seither nur ein Überlebender - so wie Sie.

1. Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Coaching beschäftigt und warum? Haben Sie Coaching als Klient kennengelernt? 

Vor meiner Selbstständigkeit habe ich mir bewußt mehrere Jahre "Erfahrung" in vielen verschiedenen Bereichen der Juristerei gegönnt: Einige Jahre war ich auch in Unternehmensrechtsabteilungen tätig - hier vor allem in der Automobilbranche.

Als dann die Automobilkrise die Branche durcheinanderwirbelte, sind wir als 5köpfige Familie - mein Mann arbeitete damals ebenfalls als Unternehmensjurist bei einem Automobilzulieferer - expatriiert worden: und zwar nach Detroit, quasi ins Auge des Orkans. Und gespenstisch und unwirklich war es dort damals auch tatsächlich. Vielleicht kennt der eine oder andere die zerfallenen Industriegebäude von Mo-Town. Als wir dort mit unseren Kindern ankamen, waren wir am Ankunft-Terminal dieser Millionenmetropole quasi allein während der Ablugterminal völlig überfüllt und chaotisch war. Die Expats der Automobilbranche aus der ganzen Welt wurden scharenweise nach Hause geschickt und die amerikanischen Arbeitnehmer, die noch Hoffnung auf einen Job anderswo hatten, verließen Michigan. Die Stadt war berühmt-berüchtigt für ihre Rassenunruhen und hatte es in der Kriminalstatistik gerade auf Platz eins geschafft. Nachts brannten die Wohnhäuser in den Siedlungen, um die Versicherungen abzukassieren. In Downtown hatte jedes zweite  Volksschulkind einen Mord gesehen. Wir wurden auf offener Strasse angepöbelt, warum wir Volkswagen fuhren - obwohl man als Ausländer riesige Probleme hatte, überhaupt irgendein Auto zu leasen (trotz aller Sicherheiten, die man bot)  und nur VW ein spezielles Programm für Expats hatte. Wir lebten quasi aus Koffern und rechneten damit, jeden Tag binnen Stunden das Land verlassen zu müssen. Meine eigene Jobsuche gestaltete sich natürlich vor diesem Hintergrund anders als geplant: eine deutsche promovierte Juristin brauchte dort gerade niemand - egal ob bezahlt oder unbezahlt.

Diesen "Shut-Down" einer Branche/einer Metropole als Juristin zu erleben, war sehr interessant. Gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl, das mir das Verständnis für´s "große Ganze" fehlte. Und für mich selbst und als Mama erforderte es natürlich wahnsinnige Anstrengungen beim Ego-Management, hier "der Fels in der Brandung" zu sein - ein wenig vergleichbar vielleicht mit dem Corona-Lock-Down, den wir gerade erlebt haben.

In dieser Situation suchte ich neben meiner großartigen internationalen Expat-Community professionelle Unterstützung und über ein deutsch-amerikanisches Netzwerk fand ich über das interkulturelle Training zum Coaching. Das Coaching half mir, mich in diesem "Auge des Orkans" (neu) zu (er)finden.

Nur soviel: Mein Coach war ein deutscher Philosoph und ich realisierte nach 40 Jahren, dass ich Synästhet bin und damit einer Minderheit angehöre. Der Film AVATAR brachte es 2009 für mich mit "I see you" auf den Punkt.

Das war für mich so faszinierend, dass ich später noch in den USA eine Coaching-Ausbildung absolvierte. Ein Privileg - denn Coaching im ursprünglich amerikanischen Kontext quasi im Coaching-Geburtsland kennenzulernenen - hilft mir heute, mich mit den Fascetten im deutschsprachigen Kulturkreis, wo Psychologie und Kommunikationswissenschaft große Anteile an der Profession Coach reklamieren - auseinaderzusetzen.

2. Was hat Sie daran besonders fasziniert? Worin sehen Sie gerade für Juristen den Mehrwert beim Coaching?

Fasziniert hat mich diese Demut: Demut vor den Lebensentscheidungen anderer. Das war mir als Juristin bislang abgegangen: Immerhin war ich seit Jahren dafür bezahlt worden, anderen zu erklären, wie sie ihr Leben gestalten sollten.

Fasziniert hat mich aber auch, im menschlichen Miteinander - sei es in der Kommunikation, sei es in der wirtschaftlichen Beziehung, sei es im gesellschaftlichen "System" - endlich die unsichtbaren Strukturen und Prozesse zu sehen; das "Warum" zu erkennen und zu verstehen. Erst damit konnte ich als Juristin überhaupt lösungsfokussiert, effektiv und gleichzeitig wertschätzend argumentieren.

3. Wie setzen Sie Coaching heute in ihrer beruflichen und/oder privaten Situation ein? Wie und in welchem Umfang wird aus Ihrer Erfahrung Coaching heute bei Juristen eingesetzt?

Meine eigene Coachingausbildung war der Beginn einer wunderbaren Reise - und ich glaube, das ist bei jeder guten Coachingausbildung so.

Meine Klienten schätzen heute, dass ich "die richtigen Fragen" stelle. Unzufriedene Klienten gehören praktisch der Vergangenheit an.

Privat profitiere ich als Mama von drei cosmopolitischen und kommunikationsstarken Teenagern ungemein von meinem professionellen Ego-Management. Ich habe das Gefühl, dass ich verstehe, wozu bestimmte Kämpfe wichtig sind und ich mich diesen stellen muss und wann es schlicht nicht notwendig ist. Das gibt mir Entscheidungsspielraum und Gelassenheit.

Seit Jahren engagiere ich mich außerdem im größten Berufsverband professioneller Coaches weltweit und setze mich seither für Qualität und Ethik in der Profession Coach ein, die nach Standards international einheitlich gemessen und überwacht wird. Nach meiner Zeit als Präsidentin des Deutschen Chapters der ICF und Delegierte im Round Table Coaching (RTC) der 17 größten Berufsverbände für Coaches im deutschsprachigen Raum etablierte ich den zweitägigen Jahres-Kongress Coachingtag und die Vergabe des Prism Awards für herausragende Coaching-Angebote in Unternehmen, die die Unternehmens- und Führungskultur maßgeblich geprägt haben. Seither stehe ich auch als Person und mit meinem Namen für Coaching nach höchsten Standards. Als Professional Certified Coach (PCC) unterliege ich einer laufenden Qualitätskontrolle.

Doch vor allem: Als ich 2012 "CLP - Consulting for legal professionals" mitgründete, glaubte ich an die Idee eines "besseren Juristen": Ich selbst bin mit Leidenschaft Juristin. Doch die beruflichen Perspektiven und Strukturen waren für mich immer irgendwie unvollkommen. Professionelles Coaching für Karriere- und Kanzleientwicklung einzusetzen - so wie ich es in den USA speziell für Juristen kennengelernt hatte - war für mich nur logisch und konsequent. 2012 waren wir die ersten in Europa, die das speziell für Juristen anboten. Bis dahin wußten Juristen im deutschsprachigen Raum nicht, was Coaching ist und die wenigen Coaches, die auch mal "ein paar Juristen mitcoachten", hatten sich erfolgreich die Finger verbrannt. Leider hatten sie dann auch erst mal große Teile der Branche für das Thema "Coaching" verbrannt, weil das Coaching von Juristen schlicht eine besondere Herausforderung ist: kommunikationsstark und analytisch-perferkt waren 08/15 Coaches reihenweise von Juristen geschreddert und an den Absender zurückgeschickt worden. Juristen glaubten nun, Coaching sei "nichts für sie" und diese Coaches attestierten der Branche prompt pauschal, nicht "coachbar" zu sein.

CLP bot die Chance, diesen Fehlstart zu heilen und etwas Entscheidendes beizutragen. Als ich die Leitung der CLP-Academy übernehmen und das Legal Coaching Training Program aufbauen durfte, ging für mich ein Herzenswunsch in Erfüllung.

4. Ihr ganz persönlicher Erfolgstipp:

"Choose your Battles!" - das antwortete mir eine kluge liebe Freundin, Mutter von vier Jungs und in der dritten Entsendung in Shanghai mitten im Smok-LockDown in diesem Molloch 2015, als ich sie in ihrem Haus fragte, wie sie das aushalte (alle vier sportlich aktiven Sprösslinge zwischen 3 und 10 Jahren über Tage und Wochen eingesperrt zu haben): "Du entscheidest, welche Kämpfe Du austragen möchtest" - weise gesagt und ich möchte ergänzen:

"Du entscheidest, welche Kämpfe Du strategisch gewinnst"! - Alles andere ist bloßes Überleben.

Vielen herzlichen Dank.

Lesen Sie hier die gesamte Interviewreihe inklusive der ersten Runde.

Lernen Sie hier weitere zehn Legal Coaches aus dem internationalen Umfeld kennen.

Hier geht´s zur Legal Coaching Ausbildung der CLP-Academy.

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