23.10.2020

Interview: Dr. Nele Somers, Belgien

CLP begleitet seit Jahren Kolleginnen und Kollegen aus sehr unterschiedlichen Bereichen der Rechtsbranche auf ihrem beruflichen Weg zum Erfolg. In dieser dritten Interviewreihe wird es darum gehen, wie vielfältig sich Anwaltspersönlichkeiten aus ganz Europa in und neben ihrem Beruf engagieren. Und natürlich haben wir Sie auch wieder nach ihrem ganz persönlichen Erfolgsgeheimnis gefragt!

Die CLP - Interviewreihe geht in die dritte Runde: Nach der Expertenrunde sowie den Legal-Coaches geht es nun in erster Linie um besonderes Engagement in und neben dem Anwaltsberuf. Einige von ihnen sind für dieses Engagement bereits mit Preisen geehrt worden; in jedem Falle aber sind alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Kreis sehr erfolgreich in dem, was sie tun. Das mag an der mitreißenden Leidenschaft liegen, mit der sie sich für ihre Sache engagieren. Oder an ihrem persönlichen Erfolgsrezept, was sie uns jeweils am Ende verraten.

Frau Dr. Somers, dürfen wir Sie bitten, sich kurz selbst vorzustellen?

Ich bin Nele Somers, eine 36 Jahre alte belgische Rechtsanwältin an der Anwaltskammer Antwerpen.

Im Jahr 2017 habe ich an der Universität Antwerpen promoviert. Ich schreibe Beiträge für mehrere wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher und spreche oft über verschiedene Themen sowohl für Studenten als auch für Juristen. Im Jahr 2018 habe ich ARTES gegründet, eine Nischenkanzlei, die sich auf geistiges Eigentum, TMC, Datenschutz und Sicherheit spezialisiert hat (www.artes.law). Mit ca. 20.000 Followern auf Instagram und noch einmal ca. 10.000 Followern in anderen sozialen Medien erreiche ich eine große Community.

Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder: ein Mädchen (Ella Marie - 11 Jahre) und einen Jungen (Rafaël - 8 Jahre). Ich lebe in Antwerpen und neben meiner Arbeit als Anwältin und der Leitung von Artes trainiere ich jede Woche mit meiner persönlichen Trainerin und Freundin Melita. Ich versuche, so oft wie möglich zu allen Arten von Yogastunden zu gehen (Ashtanga, Hatha, Yin und mehr), und im Jahr 2020 ging ich nach Indien, um mehr über den ayurvedischen Lebensstil / die Geschichte des Yoga zu erfahren.

Außerdem versuche ich, einen kleinen Bauernhof bei uns zu Hause einzurichten: wir leben zusammen mit unseren beiden Katerchen: einer Britisch Kurzhaar (Georges) und einer verrückten Bengalkatze namens Léo. Wir halten auch 4 Hühner: Loesje, Marie, Frida II und Manon.

ARTES wurde mit einem speziellen Zweck gegründet. Nach 10 Jahren in der Anwaltskammer stellte ich fest, dass der Karriereweg für weibliche Anwälte immer noch nicht dem der männlichen Anwälte entspricht. Das Ziel ist es, einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem Menschen ihr Fachwissen aus Leidenschaft für den Beruf und als Grundlage für die weitere persönliche Entwicklung teilen. Gleichzeitig arbeiten wir aktiv an einer positiven Unternehmenskultur, indem wir ein vielfältiges Team mit einem starken Teamgeist und dem Glücksgefühl jedes Anwalts und/oder Mitarbeiters, der bei ARTES arbeitet, aufbauen. Das Streben nach Gleichberechtigung, und zwar in jeder Hinsicht, ist dabei zentral.

1. Was bedeutet es für Sie ein "role Model für Juristinnen" zu sein?

Für mich bedeutet es in erster Linie authentisch und nahbar zu sein. Das berufliche Umfeld, in dem wir arbeiten, ist anspruchsvoll und vielseitig und so ist es sehr schwer, sich darüber hinaus zu engagieren und "etwas zu bewirken".

Für mich ist es wichtig, nicht nur ein Vorbild "als Anwältin" zu sein. Ich arbeite als Anwalt, aber ich bin mehr als das. Ich bin Mutter, Ehefrau, Freundin, arbeite gelegentlich als Model, Rednerin, Schriftstellerin,... Wir leben nur einmal. Wir müssen nicht unsere ganze Zeit im Büro verbringen. Das ist nicht das, woran wir uns erinnern, wenn wir auf dem Sterbebett liegen. Es geht darum, wie vielen Menschen wir geholfen haben und wie oft wir gelacht haben. Ich versuche also, so oft wie möglich ich selbst zu sein und mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich trainiere mich selbst, pünktlich nach Hause zu gehen, auch wenn das gegen meine Natur ist. Die Work-Life-Balance ist so wichtig, ja geradezu ursprünglich, um diesen wunderbaren Beruf so lange wie möglich ausüben zu können.
Mein persönliches Vorbild ist Richterin Ruth Bader Ginsburg. Sie ist eine Frau, die ich bewundere und der ich dankbar dafür bin, dass sie so vielen von uns Juristinnen den Weg geebnet hat. Doch gerade auf dem Kontinent haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns. Das kürzliche Ableben von Richterin Ginsburg zum Beispiel wurde von Anwälten und Anwältinnen offen aufgegriffen, um eine Entscheidung für Vielfalt zu treffen. doch es gibt auch noch viele Kollginnen und Kollegen, die selbst junge Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung bewußt oder unbewußt zurückhalten. Dabei ist es längst Zeit für Veränderungen! Erst Recht in der juristischen Branche. Das fodert die neue Generation geradezu ein.

Diese Generation ist jetzt; Zeit für Veränderung ist jetzt.

2. Seit wann setzen Sie sich persönlich für die Gleichberechtigung in der Anwaltschaft ein?

Um ehrlich zu sein, noch nicht sehr lange. Sehr lange Zeit war mir gar nicht bewusst, dass es Unterdrückung durch Menschen aus unserem Berufszweig gibt, die offensichtlich ein Interesse daran haben.

Ich habe sogar eine Zeit lang geglaubt, dass es die gläserne Decke nicht gibt.

Wie ist das überhaupt möglich? Irgendwie bin ich 2018 aufgewacht, weil der Arbeitsaufwand und die Komplexität für mich stetig zunahm, aber es keine finanzielle Gegenleistung oder Anerkennung dafür gab. Mir wurde klar, dass es von meiner Position aus nicht leicht sein würde, einen anderen Arbeitsplatz zu finden, an dem der Ehrgeiz nicht unterdrückt würde, geschweige denn, an dem es Spaß machen würde und an dem der wahre Fokus auf dem Inhalt liegen würde, nicht so sehr auf Geld und Macht.

Deshalb beschloss ich, mir selbst ein Umfeld zu schaffen, nicht nur für mich selbst, sondern vor allem für all jene intelligenten Frauen (und Männer), die einfach ein Recht auf ein besseres (Berufs-)Leben haben. Ich hoffe aufrichtig, dass keine Frau die Kämpfe auf ihrem Weg ertragen muss, wie ich sie gekannt habe.

Das ist einfach ungesund, ungerecht und unnötig. Erst als mir durch meine Tätigkeit in den sozialen Medien und die Geschichten, die ich sowohl von belgischen Anwälten als auch im internationalen Kontext hörte, klar wurde, dass ich kein Einzelfall war, wurde mir bewußt, dass ich dagegen etwas tun zu muss. Und mein Bewusstsein für die Gleichstellung von Frauen im Rechtsberuf reifte.

Denn wenn sich der Karriereball verlangsamt, wird er schließlich kleiner bleiben als der des männlichen Kollegen, den man eigentlich an der Universität leicht übertroffen hatte. Ich möchte betonen, dass ich natürlich kein Problem mit Männern im allgemeinen oder mit meinen Kollegen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Frauen, die sich zu sehr auf die Negativität rund um die Unterschiede konzentrieren, die in der Tat immer noch vorhanden sind, werden auch nicht Teil von ARTES sein.

Aber es ist wichig, die Dinge klar beim Namen zu nennen. Das bin ich der nächsten Generation schuldig.
 
3. Wie wichtig sind die Medien, Presse, Radio und soziale Medien? Und wie wichtig ist die Aufmerksamkeit der Medien für Sie als bekannte Unternehmerin?

Die Medien können uns helfen, eine größere Unterstützungsbasis zu schaffen, und sie können bestimmte Dinge beschleunigen. Ich bin Teil der #metoo Bewegung. Als ich in einem belgischen Rechtsmagazin ein Interview darüber gab und vorschlug, bei den Anwaltskammern regelmäßig einen ständigen vertraulichen Berater für sexuelle Übergriffe in der Anwaltschaft einzusetzen, war die Antwerpener Anwaltskammer die erste, die mich unterstützte.

Wir müssen davon ausgehen, dass viele Menschen unmittelbar betroffen sind, dass es aber auch viel Widerstand gegen Aufdeckung und Veränderungen gibt. Jede Frau sollte sich jedoch bewusst sein und wissen, dass sie nicht allein ist. Kleine Bemerkungen, zum Beispiel über die Kleidung, die sie trägt, die Art, wie Sie lächelt, den Gebrauch ihrer Stimme, Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit und mehr, können große Folgen auf die Karriere als Anwältin haben - sollten sie aber nicht.

Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass noch nicht alle bereit sind, diese Dinge zu ändern und manche sie sogar bis heute verleugnen. Veränderungen geschehen eben nicht einfach plötzlich. Es wird viele Jahre dauern, aber schließlich werden wir es schaffen. Ich hoffe nur, dass wir schneller dort ankommen als in 300 Jahren, wie man sagt... Dafür möchte ich meinen Beitrag leisten.

4. Wer ist Ihr Publikum?

Alle. Ich diskriminiere nicht. ;) Ich mag eigentlich keinen intellektuellen Snobismus. Ich hege die Hoffnung, dass ich jede Frau erreiche: jung und alt, berufstätig und nicht berufstätig. Die Botschaft, die ich überbringen möchte, ist, dass wir "frei" sein sollten. Frei zu wählen, ob wir arbeiten wollen oder nicht, wie viel Zeit wir dafür aufwenden und wie wir aussehen, sei es als Hausmutter, als berufstätige Frau oder als eine Kombination von beidem.

Ich möchte auch die Männer erreichen: Sie erziehen die nächste Generation, und deshalb kann es nur dann eine wirkliche Veränderung geben, wenn auch sie für die Botschaft empfänglich werden. Schließlich werden es bald auch ihre Töchter und Enkelinnen sein, die ins Berufsleben einsteigen werden. Sie werden auch wollen, dass es keine Abhängigkeit von einem Mann gibt und dass das Arbeitsleben der Person, die sie lieben, etwas zu ihrem persönlichen Glück beiträgt.

5. Wer unterstützt Sie oder mit wem arbeiten Sie lieber zusammen?

Mein Mann unterstützt mich seit dem ersten Tag meiner Anwaltskarriere. Das muss im Jahr 2008 gewesen sein. Er hat die Mauern miterlebt, gegen die ich gestossen bin, die Stunden, die ich gearbeitet habe in der Hoffnung, dafür belohnt zu werden, und auf Kosten der schönen Momente mit meinen tollen Kindern, der vielen Enttäuschungen. 

In der Tat braucht es vor allem den richtigen Partner, der einen in der persönlichen und beruflichen Entwicklung unterstützt.

Darüber hinaus habe ich eine Reihe von hyperintelligenten Freundinnen, die als Resonanzboden dienen. Sie, mein Mann und meine Kinder unterstützen mich bedingungslos. Wir lösen die schwierigen Momente mit einer großen Portion Humor und relativieren die Dinge.  Es ist 'nur Arbeit', es ist 'nur Geld',... Niemand ist in diesem Leben wirklich wichtig, wie wichtig kann also ein bestimmter Vorfall sein?

6. Ihr persönlicher Tipp für den Erfolg?

SEI DU SELBST!

Seien Sie weiblich, auch und vor allem als Anwältin!

Es ist nicht nötig, sich die Haare zu schneiden und sich wie ein Mann in graue Anzüge zu kleiden oder noch schlimmer: sich in Sitzungen oder vor Gericht wie ein Mann zu verhalten. Es gibt bereits zu viel von dieser Farbe auf dieser Welt...

Machen Sie selbst die Dinge, die Sie tun wollen, die zu Ihnen passen. Zum Beispiel, wenn Sie eine Leidenschaft für Mode haben und diese zum Ausdruck bringen wollen. Dann tun Sie dies ohne Angst vor Gegenwind oder Repressalien. Jeder sollte sein können, wer er/sie ist: auch Anwältinnen, natürlich im Rahmen des Standesrechtes. Diese Regeln müssen aber im Licht des Zeitgeistes interpretiert werden. Die Würde einer Anwältin darf nicht davon abhängen, inwieweit sie sich wie ein Mauerblümchen verhält ;)

Vielen herzlichen Dank.

Freuen Sie sich auf weitere außergewöhnlichen Persönlichkeiten und lassen Sie sich inspirieren!

Weitere Interviews finden Sie hier.

Mehr zu Nele Somers finden Sie hier:

www.artes.law
www.nelesomers.com
LinkedIn: Nele Somers
Twitter: Nelesomere
Instagram: nele.somers

 

 

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