19.02.2020

Die Euphoriker und die Coaches - Ist Coaching ein Heilversprechen?

"Coaching ist das neue Heilversprechen, seine Gurus füllen Deutschlands Hallen. Zigtausende zahlende Kunden hoffen, erfolgreicher, besser zu werden - doch einige zerbrechen daran. Über ein Land im Selbstoptimierungswahn" - so die Journalistin Anette Dowideit in der Welt am Sonntag vom 16.02.2020.

An einem Sontagmorgen um kurz vor zehn: Während überall im Land Kirchenglocken zum Gottesdienst rufen, hat sich der selbsternannte "Investigativ Journalismus" der Sonntagszeitung schon warm getanzt im Interesse der Verkaufszahlen.

Es geht um Stadthallen-füllende Erlebnis-Speaker wie Tobias Beck (bis zu mehreren zehntausend Teilnehmern pro Event). Der ist seit 20 Jahren Psychologe und Steward bei der Lufhansa, begleitet Vapianos Führungsteam und motiviert als Top-Speaker und Spiegel Bestseller Autor seine Fans für ein selbstbestimmtes Leben. Es geht um den Psychologen, Sozialpädagogen, Lebensberater und Esoteriker Robert Betz. Seine rein deutschsprachige Webseite hat jeden Monat ca. 200.000 Besucher. Mit Bestseller-Büchern, Seminaren, hallenfüllenden Vorträgen und vielfältigen Medien begleitet er "christlich-spirituelle Transformationsprozesse". Es geht um Alex Fischer, mit kaufmännischer Ausbildung und Erfahrung im Bankenbereich gibt er Investmenttipps. Es geht um den ehemaligen Fitnessstudiobesitzer und strafrechtlich verurteilten Weiterbilder im Konkurs Jürgen Höller und den ehemaligen Basketballer und Motivationstrainer Christian Bischoff. Es geht um die GedankenTanken Gründer und Inhaber Stefan Fädrich und CEO Alexander Müller, die derartige Großevents online und offline organiseren.

Und es geht um den von der evangelischen Kirche beauftragten Rechtsanwalt Schäfer, der "sektenähnliche Strömungen" - oder schlicht "die Konkurrenz" - im juristischen Auge behalten soll. Sowie Rechtsanwalt Habdank, der trotz intensiver Recherche feststellen mußte, dass "fast nie strafrechtliche Relevanz oder seelisches Leid" auszugleichen sei.

Die Opfer: eine brüskierte Teilnehmerin in einer Großveranstaltung, eine traumatisierte Seminarteilnehmerin und eine betrogene Klientin im Kleinkindkurs.

Die CoachingBranche scheint in jeder Hinsicht von Schacka-Männern dominiert: Profi-Sportler, testosteron-gesteuert und gewinnfokussiert. Die Opfer sind allesamt Frauen in sozialen Berufen (Mütter, Heilpraktikerinnen und Lehrerinnen). Wirklich?!

Ich kann verstehen, dass für manche Investigative Journalistinnen die Welt so aussieht.

Und nachvollziehbar ist auch dieses ungute Gefühl, nicht genau einschätzen zu können, was in diesen Schacka-Veranstaltungen passiert und wer dafür die Verantwortung trägt.

Insoweit ist der Beitrag "Die Euphoriker" vom vergangenen Wochenende ein durchaus sinnvolles Sonntags-Leseerlebnis. Schwierig wird es jedoch, wenn die Autorin Dowideit die Speaker-, Trainer- und Veranstalterszene und derartige Massenphänomene mit Coaching gleichsetzt. Coaching findet in der Regel in einer vertrauensvollen Direktbeziehung statt - nicht auf einer Bühne, nicht auf einem Youtube Kanal, nicht mit Barack Obama. Schade, denn damit beweist Dowideit die nicht vorhandene Tiefe ihrer angeblichen Investigative Recherche.

Nach all diesen Nicht-Coaches mutet es fast wie ein inszeniertes Alibi an, das Urgestein der deutschen CoachingSzene, Dr. Christopher Rauen, zu einem kurzen Statement zu bitten. Vage genug, um keine juristisch relevanten Gegendarstellungen zu provozieren, bleibt es jedoch bei der Nicht-Nennung der Berufs-Verbände und deren Qualitätskriterien - da ist Dowideit ganz professionelle Jounalistin.

Richtig ist, dass der Beruf des Coaches nicht vom deutschen Berufsrecht geschützt ist. Dies sind nur Berufe, die seit Jahrunderten etabliert sind bzw. bei denen für den Kunden Gefahr für Leib und Leben droht. Coaching hat sich aus der vergleichsweise jungen Psychologie (die erst seit knapp hundert Jahren als Profession und akademisch etabliert ist) in den letzten 50 Jahren entwickelt - und zwar als eine effiziente Methode im Business Kontext, die den Klienten darin unterstützt, nach Vorn zu schauen (während die Psychologie klassischerweise Vergangeheit aufarbeitet). Weltweit einheitliche Standards bestehen für die Profession Coach seit 25 Jahren durch den weltweit größten Berufsverband professioneller Coaches: der International Coaching Federation (ICF), der über mehr als 145 Chapter verfügt (seit fast 25 Jahren auch in Deutschland). In einigen dieser Chapter (und auch in EU Chaptern) gibt es berufsspezifische Regelungen für Coaches (wie z.B. in Österreich im Rahmen des Gewerberechts oder in der Schweiz im Rahmen des Steuerrechts). Der ICF hat sich jahrzehntelang im sogenannten Round Table Coaching insbesondere für die einheitliche Definition von Coaching und der Profession Coach in Deutschland zusammen mit anderen Berufsverbänden eingesetzt. Schade, dass Dowideit weder diese seit Jahrzehnten auch in Deutschland geltenden Qualitätsstandards erwähnt noch den Round Table Coaching oder den weltweit größten Verband ICF. Nicht erwähnt bleiben auch die führenden Plattformen Xing Coaches, welche ICF Coaches explizit ausweist, die Haufe Akademie als Deutschland größten B2B Anbieter oder auch CoachHub als international aufscheinenden Star.

Der deutsche Gesetzgeber hält die Gefahr für Leib und Leben des Klienten jedoch für derart gering, dass derzeit keine berufsrechtliche Regelung (mit der Folge des staatlichen Ausbildungs-, Abschluss- und Zulassungsmonopols wie bei Ärzten und Rechtsanwälten) angezeigt scheint, sondern lediglich das Gewerberecht Anwendung findet. Dies deckt sich mit der Einschätzung der oben erwähnten juristischen "Sektenexperten", die den Markt beobachten.

Im Klartext: Der Markt will die Schacka-Speaker und füllt deren Hallen und Kanäle. Und zwar mehr als die Kirchenbänke aller Religionsvertreter in Deutschland zusammen. Das mag die Kirche zu Recht beunruhigen - doch Konkurrenz belebt das Geschäft.

Und der Markt sucht händeringend nach individueller Begleitung und Rat in einer immer unübersichtleren Welt. Sich in einer Coachingausbildung seiner eigenen limitierenden  Paradigmen und Glaubenssätze bewußt zu werden - und vielleicht sogar den indirekt weitervererbten Kriegstraumata seiner Vorgängergenerationen oder gläsernen Decken für die Selbstverwirklichung von Frauen - ist nicht unbedingt schädlich. Mitmenschen authentisch und empathisch darin begleiten zu wollen, ihren eigenen Weg in der neuen online Welt zu gehen, ist retro und avantgardistisch gleichermaßen. Doch die Nachfrage regelt derzeit das Angebot - und laut deutschem Gesetzgeber und der EU ist das alles, was es braucht. Verirrte Schafe können im Rahmen der geltenden Gesetze Gerechtigkeit finden. Investigative Journalisten genießen die Freiheit der freien Meinungsäußerung. Immerhin ist auch dieser Beruf nicht berufsrechtlich geschützt - da auch dieser offensichtlich am Ende des Tages keine Gefahr für Leib oder Leben selbst mit noch so schlechter Recherche verursacht.

Am Ende warnt Dowideit zwar vor "Coaches und deren Heilversprechen"  - meint aber Speaker, Trainer, Persönlichkeitstrainer, die von Haus aus Psychologen, Sozialpädagogen, ehemalige ProfiSportler und Kaufmänner sind. Ob diese jemals eine Coachingausbildung genossen haben oder ihre Dienstleistung auch nur als Coaching verkaufen, bleibt dahin gestellt und interessiert Dowideit dann im Intereesse der Verkaufszahlen doch nicht. Für´s Protokoll (weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben): keiner der 7 namentlich genannten Persönlichkeitstrainer ist im Berufsverband der International Coaching Federation als Coach gemeldet und/oder zertifiziert.

An einem Donnerstagmorgen um kurz vor zehn: Während überall im Land die Ständler der Wochenmärkte ihre Ware ausrufen, hat sich der selbsternannte "Investigativ Journalismus" der Sonntagszeitung ausgetanzt - und wird von der Fischverkäuferin benutzt, der Kundin den toten Karpfen einzuwickeln, der gerade über die Verkaufstheke geht.

Die International Coaching Federation wird derweil als größter Berufsverband professioneller Coaches weltweit, in diesem Jahr ihr 25 jähriges Bestehen feiern: mit der International CoachingWeek im Mai zusammen mit ihren Partnern, die sie mit pro bono Coaching untersützt, wie dem Deutschen Roten Kreuz, Unicef, Paralympics, Amnesty International oder den United Nations oder auf ihrem mehrtägigen Fachkongressen wie dem Coachingtag im Herbst in Frankfurt mit der Verleihung des Prism Awards für besondere Coachingprogramme in Unternehmen. Dieser ging in den letzten Jahren übrigens an eine der Top 10 Kanzleien CMS Tax Legal sowie Vodafone und Adidas. Auch der Dinosaurierer der deutschen Coachingbranche - Volkswagen - wurde mit einem Sonderpreis für sein 25 jähriges Gesamtkonzept aus mehreren Coachingprogrammen im gesamten Konzern ausgezeichnet. Sie alle schwören auf professionelles, berufsverbandsgestütztes Coaching zur Personalentwicklung. Füllen damit zwar keine Hallen, Bücherregale oder youtube-Kanäle. Machen dafür aber das Leben von tausenden Arbeitnehmern in Deutschland zu einem erfüllten und sinnstiftenden. Deutsche Wertarbeit eben. Made in Germany. Unterstützt wird die Verleihung des Prism Awards für besondere Coachingprogramme übrigens von der Universität Salzburg, der Universität Kassel, Professor Greif, der mit den Universitäten in Berlin und Osnabrück kooperiert, der Haufe Akademie, dem Handelsblatt, der ComputerBild, der RELEVANT Management Beratung und HOGAN Distributer sowie Xing.

Einzelkämpfer wie die Rechtsanwälte Habdank und Schäfer werden Coaching in ihrer Kanzlei- und Personalentwicklung dagegen wohl eher nicht eingesetzt haben. Mittelständische Kanzleien und Großkanzleien hingegen schon (s.o.), um den Berufsstand der Anwaltschaft zukunftsfit zu machen. Das Legal Coaching Training Program der CLP-Academy bietet mittlerweile sogar eine eigens auf den juristischen Berufsalltag zugeschnittene Coachingausbildung für Juristen an, die weit effektiver als eine Mediationsausbildung wirkt; die CLP-CoachingLounge auf der Legal Revolution ist seit 3 Jahren ein Megaerfolg in der juristischen Branche.

Und auch die Welt am Sonntag hat kein bekanntes Coachingprogramm für Investigative Journalisten.

Auch hier sei die Fausformel empfohlen: Schuster bleib bei Deinen Leisten - man sollte nur darüber schreiben, was man kennt.

In diesem Sinne,

Dr. Geertje Tutschka, PCC

Rechtsanwältin für Deutschland und Österreich,

CEO CLP-Consulting for Legal Professionals und Ausbilder des Legal Coaching Trainings der CLP-Academy

Project Lead Prism Award ICF Germany und President Past 

Mehr auf www.geertje-tutschka.com

 

... und falls Sie heute nicht mehr auf den Wochenmarkt und am Fischstand vorbei kommen -

Lesen Sie den Artikel von Anette Dowideit in der Welt am Sonntag vom 16.02.2020 hier.

Interessieren könnte Sie auch der Artikel: "Fachanwaltsausbildung oder doch lieber die Ausbildung zum Mediator, Konfliktcoach oder Legal Coach - welche Weiterbildung für Juristen ist die Richtige für Sie?"

 

Lesen Sie auch die Beiträge von

Kirsten Dierolf (MCC) President Elect der ICF D und

Doris van de Sand (MCC) Ethikkommission der ICF D

 

 

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