24.02.2019

Der Anwalt als eierlegende Wollmilchsau? Was Mandanten heute zusätzlich zur juristischen Fachexpertise einfordern.

Der Anwalt als Krisenmanager, Konfliktcoach und Begleiter in Veränderungsprozessen - und natürlich juristischer Fachexperte:

die Herausforderungen im Beratungsmandat waren immer schon vielfältig und gingen weit über die reine Rechtsberatung hinaus. Neu ist hingegen, dass dieser "Begleitservice" in Zeiten von Legal Tech zur Kernkompetenz avanciert.

Im klassischen Beratungsmandat erfragt der Rechtsanwalt das Rechtsbegehren des Mandanten, um dann mit ihm gemeinsam die dafür erforderlichen Tatsachen zusammenzutragen. Können diese dann das Rechtsbegehren nicht tragen, erfolgt eine Beratung zu möglichen Alternativlösungen. Der Mandant allein entscheidet, welche Lösung angestrebt werden soll und welche für ihn die Richtige ist. Das überfordert viele Mandanten. Und zurück bleibt ein unzufriedener Mandant mit einer für ihn unbefriedigenden Lösung.

Das Wissensmonopol der akademischen Ausbildung hat die Rechtsdienstleister lange Zeit davor bewahrt, sich mit diesem Dilemma auseinandersetzen zu müssen. Heute bringt die Digitalisierung das Wissensmonopol der Beraterbranche massiv ins Wanken und kratzt ordentlich am Beratergeschäft. Wissen ist dank Internet heute kostenfrei überall und jederzeit abrufbar. Berater müssen umdenken und eine neue Servicekultur entwickeln, in welcher der Kunde endlich wieder im Mittelpunkt steht. Doch eigentlich ging der Kunde noch nie allein wegen der informativen Beratung in die Kanzlei. Ihm ging es immer schon darum, dass eine Lösung gefunden und umgesetzt wird. Heute reduziert sich jedoch in den meisten Mandatsgesprächen die Information des vorinformierten Kunden auf ein Minimum; nämlich auf den Teil, der nicht allgemein verfügbar ist: die auf die individuelle Situation des Mandanten zugeschnittene Information.

Was ist die individuelle Situation des Mandanten?

Nun verstehen die meisten Juristen die individuelle Situation des Mandanten als “Sachlage”. Sachlichkeit und Distanz sind Grundprinzipien in der klassischen Rechtsberatung – und in der gesamten Rechtsbranche: Die Katalogisierung der Mandatsakte, das traditionelle Besprechungszimmer (mit der Termin- und Präsenzkultur), die anwaltliche und richterliche Robe, ja selbst die Innenarchitektur der Gerichtssäle und die Prozessordnung wurden nur dafür entwickelt.

Von der Sachlage ausgehend, wird das Rechtsbegehren definiert (objektiv wie subjektiv) und der Jurist beginnt mit der entsprechenden Einschätzung und Information des Mandanten.

Völlig unberücksichtigt bleibt dabei in der Regel

  • in welchem emotionalen Zustand sich der Mandant befindet und welchem Stadium der Krisensituation bzw. des Veränderungsprozesses,
  • welche Rechtslösung für den Mandanten auf dessen Wertesystem und Lebensziel einzahlt und
  • wie die für die Mandatierung erforderliche Vertrauensbeziehung schnellstmöglich und nachhaltig etabliert werden kann, die Grundlage jeder Mandatierung.

Ein in der Rechtsberatung weitverbreitetes Paradigma in diesem Zusammenhang lautet: “Rechtsberatung ist nur dann professionell und seriös, wenn das Problem analytisch und sachlich angegangen und gelöst wird.”

Man möchte nicht allzu menscheln. Emotionaler Abstand zum Mandanten hilft schließlich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und in der Tat ist: Die Versachlichung der Konfliktsituation, in der sich die Parteien in den allermeisten Fällen bereits die Köpfe heiß diskutierten, einer der Kernwerte des Anwaltsgeschäfts.

Das versachlichte Beratungsmandat kann durch technische Lösungen prinzipiell ersetzt werden

Doch gilt dies auch im Verhältnis zum Mandanten? Wie kann die für den Mandanten beste Rechtslösung gefunden werden und eine individuelle Beratung erfolgen, wenn der Mandant nicht als Mensch wahrgenommen wird? Der so arbeitende Jurist bietet heute in der Tat kaum mehr als eine technikbasierte Lösung – und fürchtet zu Recht schon bald ersetzt zu werden!

Für die erfolgreiche Anwaltstätigkeit ist ein vertieftes Verständnis von Veränderungs- und Kommunikationsprozessen unerlässlich. Dies garantiert nicht nur zufriedene Mandanten, sondern auch ein professionelles und damit effizientes Mandatsmanagement. Da dies in die anwaltliche Ausbildung jedoch bislang ebenso wenig inkludiert ist wie betriebswirtschaftliches Know-how, bleibt es die Aufgabe der Anwaltschaft, dies post graduate nachzubilden¹.

Mandanten kommen heute zwar vorinformiert – bzw. kommen gar nicht mehr persönlich - zum Anwalt ins Büro, befinden sich jedoch wie eh und je in einer persönlichen Krisensituation, inmitten ihres Veränderungsprozesses (sei es einer Kündigung durch den Arbeitgeber, einem Strafbescheid der Finanzbehörde, einer drohenden Insolvenz). Das macht ihnen Angst. Das nimmt dem Besuch die Freiwilligkeit (ähnlich dem Zahnarztbesuch). Kein Wunder, dass Anwälte nicht unbedingt den besten Ruf haben, werden sie doch regelmäßig mit all diesen negativen Situationen und Gefühlen assoziiert.

Typische Phasen der Krisensituation im Beratungsmandat

Nach den verschiedenen Basismodellen für Krisensituationen und Veränderungen werden immer diverse Stadien durchlaufen und zwar immer alle und immer alle nacheinander.
Ohne hier zu umfangreich auszuführen: Für die Mandatsbearbeitung macht es einen Unterschied, ob der Mandant zum Zeitpunkt

  • des „ersten Schocks“ (z. B. er hat gerade die Kündigung erhalten) in die Kanzlei kommt oder
  • aber bereits in der Phase der Krise (z. B. er hat bereits Gespräche geführt) oder
  • Akzeptanz (z. B. er hat sich bereits neuorientiert).

Im ersten Fall ist er zumeist nicht in der Lage, alle relevanten Fakten zu liefern. Die Verdrängungsphase hindert ihn daran. Das Tal der tiefen Krise ist noch nicht erreicht. Geht der Anwalt darauf nicht ein und liefert hier nicht mehr vertrauensbildende Maßnahmen als dass er Fakten verlangt, wird die Krisensituation schnell auf den Anwalt projiziert, der zum „Sündenbock“ erklärt wird. Für den Mandanten kann dies sogar bedeuten, dass er in der Krisensituation verbleibt und sich in einer „Feedbackschleife“ zurück zum Ereignis/Schock bewegt. Er bleibt im Prozess gefangen, ohne Chance auf Lösung des Konflikts. Keine Rechtslösung wird ihn zufriedenstellen.

Kommt der Mandant hingegen erst „wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“ und er sich bereits in der Phase befindet, wo er sich mit der plötzlichen Veränderung abgefunden hat, wird er den Anwalt viel leichter und engagierter in der Aufbereitung des Mandats unterstützen können. Unkontrollierte emotionale Ausbrüche sind nicht (mehr) zu erwarten. Vielen Kollegen sind diese Mandanten gerade die Liebsten. Sie lehnen sich entspannt zurück und konzentrieren sich auf ihre eigentliche Arbeit; um dann überrascht festzustellen, dass der Mandant bei der erstbesten Gelegenheit wieder „weg“ ist. Der Kollege hat verkannt, dass der Mandant in diesem Zeitpunkt nicht mehr derart offen und dankbar für eine intensive Kundenbeziehung war wie zum akuten Krisenpunkt. Jetzt wird der Anwalt schnell „austauschbar“ und „beliebig“, wenn er nicht ganz gezielt beispielsweise mit ganzheitlichen Services und aktiv in den Aufbau der Mandantenbeziehung investiert. Soll es ein Stammkunde werden und keine Eintagsfliege bleiben, muss hier nachhaltig Mandantenbindung erfolgen.

Das alles ist erlernbar und erspart viele Selbstversuche. Kommunikations- und Krisentrainings stellen daher eine ideale post graduate Ausbildung für Anwälte gleich welchen Rechtsgebietes dar. Leider werden diese nach wie vor als „Soft Skills“ regelmäßig nicht in die berufliche Weiterbildung integriert. Die juristische Ausbildung fokussiert sich ausschließlich auf Fachausbildung: im Studium aber auch in den Fachanwaltschaften nach FAO. Allein die Pflichtfortbildung zur Erhaltung des Fachanwaltstitels zehren in den allermeisten Fällen die alljährlichen Zeit- und Finanzbudgets der beruflichen Weiterbildung auf.

Das ist Schade. Wissen wir doch als Anwälte aus eigener Erfahrung, dass nicht unser Fachwissen, sondern das vertrauensvolle Mandat unser Einkommen sichert. Zeit zum Umdenken.

Der Artikel erschien im Original bei Haufe am 25.09.2018.

zurück